Sackpfeifenmusik und das Publikum

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    • Sackpfeifenmusik und das Publikum

      Herzliche Grüße an alle Sackpfeifer!

      Ich spielte als Solo-Amateur über die letzten 5 Jahre hinweg wiederholt auf Gartenfesten und in Kindergärten (Eltern & ihre Kinder als Zuhörer). Nebenbei war ich immer wieder auf Märkten unterwegs und besuchte auch anderweitige Musikveranstaltungen. Dabei fiel mir eine gewisse, ich möchte mal sagen, Barriere, zwischen dem breiten Publikum und den Sackpfeifern auf die ich hier mal zur Diskussion stellen möchte.

      Es geht darum dass die breite Masse der modernen Zuhörer, wie alle Menschen, eigentlich, Musik haben wollen welche sie kennen oder zumindest damit was anfangen können. Etwas wozu man mitsingt und mittanzt, was Wiedererkennungswert hat und schöne Erinnerungen weckt. Tatsache ist jedoch, dass die sogenannten "Standards" für Marktsack, Schäferpfeife und Hümmelchen...

      staff.uni-giessen.de/tomas.sauer/SessBook.pdf
      subi.at/transfer/notenbuch.pdf
      Noten für Hümmelchen
      Codex Verus

      ... fast ausnahmsweise Stücke sind die kaum ein deutscher Durchschnittsbürger kennt oder gar aussprechen kann. Begriffe wie Bourrée, Mazurka, Reel, Jig, Air, Branle, Tarantella, An Dro, diese sind in Kreisen der deutschen Sackpfeifenspieler bekannt, aber scheinbar auch nur dort. Kommt Ihr G'spielen oder Kommet Ihr Hirten, welche im obigen Sessionbuch von T. Sauer zu finden sind, sind ein wenig zu wenig, so meine persönliche Erfahrung. Immer wieder sehe ich mich mit einem Publikum konfrontiert, zusammengesetzt aus ganz normalen deutschen Bürgern aller Schichten und Bildungsgrade, welche zwar vom gestimmten Instrument und sauberer Spieltechnik beeindruckt sind, sich jedoch schnell langweilen wenn etwas gespielt wird was sie schlichtweg nicht kennen.

      Meine persönliche Taktik war und ist - ich habe mit eine Liste von 26 Stücken zusammengestellt welche möglichst einen breiten Musikgeschmack abdecken soll und zwar mit dem Publikum tatsächlich bekannten Melodien. Mittelalterliche Melodien für den Marktmusik-Fan, ein Paar schottische Sachen für Schottenfans, irische und bretonische Folk-Klassiker die immer wieder in den Medien auftauchen sowie ein Paar englische und russische Stücke die den meisten geläufig sind. Und in der Tat, ich merke den Unterschied mehr als deutlich - bei Son Ar Chistr (= "Was swollen wir trinken") fangen die Leute auf einmal mitzusingen und machen Tanzbewegungen, die älteren Generationen werden sichtlich mitgenommen von Im Schönsten Wiesengrunde und Auf Auf zum fröhlichen Jagen und die 25-35 jährige Generation erkennt meist die Korobeiniki (= "Tetris") ohne große Mühe. Das sind nur Beispiele, die mir auf Anhieb einfallen.

      Was ich hiermit sagen will: Ich habe den Eindruck dass die Stücke der Marktsack- und der Schäferpfeifenszene dem durschnittlichen deutschen Bürger einfach unbekannt und nicht erschließbar sind, was dazu führt dass die Sackpfeifer in der BRD immer noch eine Art "Dasein unter sich" führen. Ein ganzes Bündel an bekannten klassischen deutschen Volksliedern ist auf dem Marktsack und der Schäferpfeife spielbar, jedoch habe ich noch nie (live UND vurtuell) einen Markt- oder Schäferpfeifer hier in Deutschland gesehen/gehört der vor dem Durschnittspublikum eben diese zum Besten gegeben hat - etwas, was ein durchschnittlicher Akkordeonspieler routinemäßig macht.

      Ich für meinen Teil liebe es einfach wenn die Menschen mitsingen und mithüpfen, anstatt still zu stehen und mich anzuschauen wie "Schon wieder so 'n ausländisches Zeug, kenne ich nich, gehe lieber noch 'n Bier holen..." :(


      Gregorius
      Slow equals smooth and smooth equals fast
    • Gregorius schrieb:


      Immer wieder sehe ich mich mit einem Publikum konfrontiert, zusammengesetzt aus ganz normalen deutschen Bürgern aller Schichten und Bildungsgrade, welche zwar vom gestimmten Instrument und sauberer Spieltechnik beeindruckt sind, sich jedoch schnell langweilen wenn etwas gespielt wird was sie schlichtweg nicht kennen.


      Bist du dir Sicher das es daran liegt das das Publikum die Stücke nicht kennt? Ein Duo Cassard kann problemlos auch ein unerfahrenes Publikum begeistern.
      Traditionsgemäß wird von vielen immer die gleiche Melodie mit ein paar Verzierungen runter gedudelt. Wenn nicht nicht gerade am Tanzen bin würde mich das auch sehr schnell langweilen :)
      Ich denke mehr Variationen oder ein Set von zusammen passenden Stücken ist hier die Lösung.
    • Ich habe da ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Allerdings Beschränkt sich meine "Bühnenerfahrung" auf wenige Auftritte im Duo oder im Orchester.

      Im Rahmen des Orchesters ist eine Beurteilung nur schwer möglich da hier nicht nur Dudelsack gespielt wird.

      Ansonsten empfand ich meine ersten bezahlten Auftritte sehr motivierend. Hier hat aber die Abwechslung sehr geholfen. Als Unterstützung beim Märchenerzähler als "passendes Stück nach jedem Märchen" merkte ich schon eine Begeisterung beim Publikum, die vollen Stücke durch. Allerdings kam dann ja gleich wieder ein längeres Märchen. Die Zuhörer konnten vom konzentrierten Zuhören dann bei der Musik entspannen.

      Andererseits habe ich eine Abneigung gegenüber "Feiern". In erster Linie spiele ich für mich und für Freunde/Leute die mit Musizieren oder Tanzen wollen. Ein "hol dein Instrument die Leute würden das gerne sehen" lehne ich mittlerweile ab. Hier Teile ich deine Erfahrungen. Eine halbe Minute, vielleicht eine Minute und dann wird es dem Zuhörer langweilig. Stattdessen gebe ich stets bekannt wo und wann man mich hören kann. Bei echtem Interesse stehts nichts im Wege zuzuhören. Ich hab noch nie jemanden von den Leuten bei sowas gesehen.... ;)

      Auch mein Lehrer, der ja nun enorm viel Erfahrung hat. Hat uns seinen Schülern geraten, für solche "Auftritte" auch wenn sie bezahlt sind einfache Stücke zu wählen. Am besten Stücke die allgemein bekannt sind.
      Bei allem was nicht bekannt ist wird sonst abgeschaltet. Ein Schottenspieler tut sich da wohl einfacher, die xyz-schotten Stücke kennt ja jeder.

      Ich kann mir dank meiner Arbeit den Komfort leisten undankbares/unaufgeschlossenes Publikum zu meiden. Da wir mit unserem Stammtisch in Graz auch Tänzer/Tanzwillige ansprechen kann ich auch behaupten dass ich zumindest einmal im Monat ein begeistertes Publikum habe welches zu unserer/meiner Musik tanzt. Und ganz erhlich: da drauf steh ich. Und wenn ich mal nicht mitmusiziere dann Tanze ich selbst. :D
      PDH - Preiset das Hümmelchen
      You know, Internet is a dangerous thing with all that sheet music out there...
    • Hanterdro schrieb:

      Bist du dir Sicher das es daran liegt das das Publikum die Stücke nicht kennt? Ein Duo Cassard kann problemlos auch ein unerfahrenes Publikum begeistern.

      Ich würde schon meinen dass bei bekannten Liedern das Publikum viel aufgeschlossener wird und einen Bezugspunkt zwischen sich und der Sackpfeif herstellen kann.

      Hanterdro schrieb:

      Ich denke mehr Variationen oder ein Set von zusammen passenden Stücken ist hier die Lösung.

      Das sehe ich auch so, deshalb auch meine Bemühungen Bekanntes mit Unbekanntem reizvoll zu vermischen. Mein Eindruck ist dass so etwas hierzulande von Sackpfeifern eben zu wenig gemacht wird. Auch kann ich berichten dass gerade ein Hümmelchen bei kleinen und großen Kindern prima ankommt, solange man die guten alten Kinderlieder drauf hat - dadurch erfahren sie das Instrument erst, haben einen Bezugspunkt zum Klang. Es scheint bei Erwachsenen genauso der Fall zu sein.

      subi schrieb:

      Ich kann mir dank meiner Arbeit den Komfort leisten undankbares/unaufgeschlossenes Publikum zu meiden. Da wir mit unserem Stammtisch in Graz auch Tänzer/Tanzwillige ansprechen kann ich auch behaupten dass ich zumindest einmal im Monat ein begeistertes Publikum habe welches zu unserer/meiner Musik tanzt. Und ganz erhlich: da drauf steh ich.

      Durchaus verständlich. ^^
      Das ist übrigens der Grund warum ich aufgehört habe "Marktstandards" zu spielen. Die Einzigen die sich das gern reinziehen sind i.d.R. Marktmusik- und Mittelalternativ-Fans, die Durchschnittsbürger langweilen sich meist. Die Leute muss man ja, pädagogisch korrekt, dort abholen wo sie stehen, deshalb die konsequente musikalische Umstellung auf die Leute außerhalb des MA-Kreises.
      Slow equals smooth and smooth equals fast
    • Ich selbst spiele zwar nicht auf Bühnen im Moment - würde aber für mich entscheiden dass ich eben gerade nicht "immer den gleichen Scheiß" spielen sollte (den die Leute ja so gern hören wollen)

      Das führt doch zum einen dazu, dass die Instrumente so immer weiter in die Ecke gedrängt werden in der sie eh sind - Akkordeons in der deutschen Heckenlaubenschunkelecke, Dudelsäcke im fernen Schottland usw

      Ging mir übrigens ganz genauso - war dem Akkordeon immer sehr abgeneigt und erst durch die Folkszene wurde mir das Instrument schmackhaft.
      Klar ist es schwierig, wenn man dann so ein Publikum vor sich hat, was nicht mitgeht - hab da jetzt im Moment auch keinen Plan wie ich das angehen würde. Glaube bei Cassard z.B. ist das Geheimnis z.T. dass auch gesungen wird - das macht viel aus. Und Christoph kommt nun ja auch nicht gerade uncharismatisch rüber. Und - die Lieder bieten ein breites Spektrum verschiedener Kulturen. Es wird also kaum langweilig.
      Eine Darbietung wo halt "nur mittelalterliche Sackpfeifenmusik" (jetzt als Beispiel) angeboten wird würd ich mir auch nicht unebdingt als Konzert anschauen.

      Was wohl auf jeden Fall immer hilft ist diese typische kleine Geschichte, die man so gerne erzählt vor einem Stück. Die baut sofort einen Bezug auf - und nimmt das Publikum mit, sofern man diese gut erzählt :)
    • darkstain schrieb:

      Ich selbst spiele zwar nicht auf Bühnen im Moment - würde aber für mich entscheiden dass ich eben gerade nicht "immer den gleichen Scheiß" spielen sollte (den die Leute ja so gern hören wollen)

      Das führt doch zum einen dazu, dass die Instrumente so immer weiter in die Ecke gedrängt werden in der sie eh sind - Akkordeons in der deutschen Heckenlaubenschunkelecke, Dudelsäcke im fernen Schottland usw

      Das wiederum ist das andere Extrem. Wenn man sich Jahrzehnte lang Palästinalied, Totus Floreo und Traubentritt auf Märkten reinziehen muss, und zwar ständig und von nahezu jeder MA-Band die es gibt oder je gab, klar wünscht man sich als MA-Fan Abwechslung. Beim MA-unkundigen Durchschnittsbürger ist es aber scheinbar genau umgekehrt, er lechzt nach einem "Bierzeltklassiker" und nicht nach einem Renaissance-Tanz im 3/4 Takt oder einem gälischen Stück dessen Namen er nicht einmal buchstabieren kann. Da gebe ich dir völlig Recht, beide Extreme bewirken eine Isolation der Instrumente und Musiker, und genau deswegen wage ich die Häresie - deutsche allseits bekannte Volkslieder auf dem Marktsack in G und A! :D Ich steh nun mal auf Marktsack, bekenne mich zu dem als meinem Hauptinstrument und will persönlich soviel Positives wie es geht zu seiner Reputation beitragen.
      Slow equals smooth and smooth equals fast
    • Ich find's richtig. Heino erfindet sich neu, strubbelt den Enzian oder die Haselnuss auf sein Verständnis von Metal um und transponiert u.a. dabei auf Moll. Ob man das (oder auch das Original) mag oder nicht, ist dabei völlig egal - er hat einen Riesenerfolg und wird wahrgenommen. Warum soll man nicht die gleichen Methoden anwenden? Solange es musikalisch/technisch sauber ist: wenn's den Zuhörern gefällt, ist es gut! Crossover ist häufig spannend.
      Planung ersetzt den Zufall durch den Irrtum.
    • Vorweg, ich habe noch keine Bühnenerfahrung und auch noch nicht wirklich vor Publikum gespielt.
      Meine Meinung zu dem Thema ist aber: Bei einem "durchschnittlichen" Publikum sollten generell nicht zu komplexe Melodien gespielt werden. Damit will ich jetzt nicht sagen, dass man unbedingt 10 Durchgänge der gleichen kurzen Melodie ohne Zwischenspiel hintereinander runterleiern soll. Das wird dann natürlich schnell langweilig. Wichtig ist finde ich nur, dass der/die Zuhörer/in nach einem Auftritt die Melodien zumindest für einige Zeit im Kopf behalten kann. Wenn das Publikum die Stücke vorher nicht kannte, lernt es sie halt während des Auftrittes kennen!
      Es gibt Lieder, die sofort ins Ohr gehen und die man sofort super findet (Meist wirklich einfache Melodien). Dann gibt es noch die Lieder, die umso besser werden je öfter man sie anhört. Da handelt es sich dann meistens um kompliziertere Melodien, die sich einem nicht sofort erschließen. Wenn du solche Sachen spielst und die Zuhörer sie nicht verstehen, werden sie wahrscheinlich am Ende nur sowas sagen wie "Ja war ganz nett". Mal völlig unabhängig von Spieltechnik, die den meisten Laien sowieso nicht besonders auffällt. Deshalb meine Meinung: Das Publikum nicht überfordern aber auch nicht unterfordern.
      Es kommt imho immer auf die Zielgruppe an.

      darkstain schrieb:

      Ging mir übrigens ganz genauso - war dem Akkordeon immer sehr abgeneigt und erst durch die Folkszene wurde mir das Instrument schmackhaft.

      Geht mir genauso! :D Inzwischen finde ich das Akkordeon ein super Instrument.
      Beste Grüße
      Markus
    • darkstain schrieb:

      Dem Satz "Wenn's den Zuhörern gefällt, ist es gut! " muss ich aber mal vehement widersprechen ;) (und das in nem Musikerforum !)

      Jaaaa... ist ja richtig... darum habe ich aber auch schon gleich eingeschränkt: "wenn es musikalisch und technisch sauber ist"! Gemeint ist: solange ich mein Instrument beherrsche, technisch sauber spiele und musikalisch anständig arbeite UND DANN die Erfahrung mache, dass das Publikum auf Crossover abfährt, ist es in Ordnung und ich finde es gut. Wenn ich diese Voraussetzungen nicht erfülle, spiele ich nicht vor Publikum.
      Planung ersetzt den Zufall durch den Irrtum.
    • Keiner, der auf einen Mittelaltermarkt geht, möchte wirklich Heino , Rammstein oder was auch immer, hören.
      Wir spielen die Klassiker des Mittelalters. Dabei haben wir so viele möglichkeiten die Stücke zu arrangieren.
      Wir spielen für alle die es interessiert und versuchen auch durch unsere Spielweise andere Leute zu begeistern.
      Die Hauptsache ist : uns macht es Spass !!! :huepf: Das überträgt sich dann auch auf das Publikum ! :imhoschild:
    • Nunja... Wieviele der "Marktstandards" tatsächlich Melodien aus dem historischen Mittelalter sind, ist eine ganz andere Frage. Wie aber schon gesagt, das spezifische MA-Publikum unterscheidet sich deutlich vom Durschnittspublikum fernab jeglicher MA-Begeisterung und ich bin fester Überzeugung dass es in unserem Interesse als Marktsacker ist die Marktsackpfeife auch außerhalb des MA-Kreises zu etablieren.
      Slow equals smooth and smooth equals fast
    • Sauba gregorius!!!

      genau das ist es. Der marktsack ist halt tonartgebunden, jedoch hat er einen so wunderbaren klang, dass es sich lohnt auch andere Stücke als Codex verus rauf runter zu spielen.

      das Instrument ist noch jung und es ist die aufgabe von jedem seiner Anhänger das Instrument zu etablieren.

      wieso keine heutigen Klassiker auf ihm spielen. Ich würde mir wünschen, dass es irgend wann eine klassikerliedersammöung bereis transponiert auf a Moll oder adorisch gibt.

      uebrigens hat die heutige ghb nichts mehr mit dem schottischen dudelsack vor Hunderten vor Jahren zu tun.

      Und dies nur noch als Beispiel, dass es auch Super ghb Spieler gibt, die nicht nur traditionelle schottische Lieder spielen:



      redhotchillipipers.co.uk
    • Neue Musik für den Sack, um auch anderes Publikum zu erreichen, ist ja eine schöne Idee. Aber für die Unerfahrenen ( und da zähle ich mich dazu) lauert hier die GEMA-Falle, die die Profis in und auswendig kennen...Wenn ich "moderne" Musik " öffentlich aufführen" will muss ich mich umtun, damit nicht ich oder der Veranstalter die gelackmeierten sind.

      Oder wer als Anfänger weiss, das nur der dritte Teil von Pippi Langstrumpf GEMA-geführt ist? Da müsste so ein Notenbüchlein schon von jemandem gemacht werden, der sich auskennt.

      Grüsse Alex
      Das Biniou ist ein sehr schönes Instrument - aus 20m Entfernung (Paul Beekhuizen)

      Ein Troll sein? Ich darf das, ich hab's schriftlich!