Der Motivationsthread

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    • Liebe Merit,

      ich gebe dir völlig Recht. Sollte sich mein Beitrag so gelesen haben, dass Dudelsäcke etc. für Kinder zu exotisch sind, habe ich mich zu ungenau ausgedrückt. Ja, die flippen aus, und das ist gut so - aber dann braucht es Eltern, die mit ihrem völlig geflashten Kind zur Musikschule gehen und nach Kursen fragen, sich nicht achselzuckend umdrehen, wenn sie abschlägig beschieden werden, Musikschulen, die aufhorchen, wenn der Dritte mit dem gleichen Ansinnen kommt - und dann bereit sind, den Aufwand zu betreiben, sich das notwendige Wissen draufzuschaffen und die organisatorischen Hürden zu nehmen. Auch hier hast du vollkommen Recht - man scheitert an der bereits vorhandenen Infrastruktur.

      Nach meiner Erfahrung kommt man an Kinder dauerhaft nur über die Eltern. Begeisterte Kinder sind gut, aber die Eltern müssen davon überzeugt sein, dass sie ihr Kind bei etwas Wertvollem unterstützen. Sie machen den Taxidienst zur Musikschule, bezahlen die Instrumente, bauen die Musik in den Tagesablauf ein etc. Dabei kennen sie sich mit den Instrumenten selbst meist gar nicht selbst aus - mein Jüngerer spielt Bariton und ich habe von Blechblasinstrumenten auch keine Ahnung. Hier brauchten wir bezüglich der Instrumentenauswahl, also beim Kauf oder vorhergehender Miete, kompetente Beratung; hätten wir die nicht gehabt, wäre es schwierig geworden.

      Eine echte Lösung habe ich also auch nicht. Was du von Dänemark erzählst, klingt toll und ich kann mir gut vorstellen, dass manche Schulen mit musikaffiner Leitung durchaus offen wären. Die Herausforderung liegt m.E. in der Frage, wie es dann weitergeht. Müsste nicht als Nächstes die Nennung von Ansprechpartnern folgen - wenn ihr dieses Instrument auch spielen wollt, wendet euch an den freundlichen Menschen rechts vorne? Wobei auf dessen Seite dann auch wieder eine Versorgungs- und Unterrichts-Infrastruktur existieren (oder zumindest geschaffen werden) müsste, die die Nachfrage deckt. Der Preis für den Unterricht würde auch noch eine Rolle spielen, zumindest die städtischen Musikschulen sind sehr günstig und für Bedürftige ggf. auch beitragsfrei. Wenn hier jemand ein Konzept (und den Mut und die Mittel) hat, könnte es aber ein Anfang sein.

      Eine andere Herausforderung ist m.E. eben die Versorgung mit Instrumenten. Blockflöten sind billig. Blechblas- und Saiteninstrumente kann man ggf. mieten. Das dürfte bei Dudelsäcken nicht so einfach sein. Zudem kann man die vorgenannten Standardinstrumente in Musikgeschäften kaufen, die hierzu auch kompetent beraten können. Für die meisten Eltern werden hier (zu) hohe Einstiegshürden liegen und wie man die überwunden kriegt, habe ich ehrlich gesagt nicht die blasseste Ahnung... Vielleicht die Proklamation des Regionalen Sackpapsts... ;)

      LG
      Andreas
      Planung ersetzt den Zufall durch den Irrtum.
    • Achja, ich habe es sicher schon Mal irgendwo hier im Forum erwähnt.

      Mein Lehrer wird immer mal wieder von Volksschulen (Öffentlich wie auch Privat) eingeladen um seine Instrumente und seine Musik den Kindern vorzustellen.
      Neulich hat mir mein Arbeitskollege Fotos von der Klasse seiner Tocher geschickt. Wer war zu sehen? Sepp Pichler beim Kundenf..*husthust* beim Instrumente vorstellen. :D

      Er hat sich wohl seine Kundschaft/seinen Fanbaum aufgebaut, betreibt hier aber auch viel und sorgfältige Pflege. Wahrscheinlich ist das aber eher die Ausnahme. Schließlich ist er, hauptberuflich, Musiklehrer für Dudelsack und Drehleier. Es gibt wohl nirgenst so viele Dudelsack/Drehleier Schüler als wie im Großraum Graz.


      Bzgl. Leihinstrumente: Das Konservatorium hat einige wenige. Vergleicht man das aber mit der Verfügbarkeit anderer Instrumente, ists eigentlich so gut wie gar nichts.
      PDH - Preiset das Hümmelchen
      You know, Internet is a dangerous thing with all that sheet music out there...
    • Hej Zusammen!
      Hier wird's ja richtig interessant.
      Mit der Gefahr einiges des vorher gesagten noch mal zu wiederholen ein paar Gedanken Anregungen meinerseits:
      Grundsätzlich glaube ich nicht das der Dudelsack in dem Sinn auf dem Abstieg ist.
      Jedoch muss ich um das darzulegen eine Unterscheidung in Mittelalterszene (in allen Ausprägungen) und
      Folkszene machen.


      Ob und wie sehr der Mittelaltersektor auf dem Abstieg ist kann ich nicht sagen, da ich mit diesem nur wenige
      Berührungspunkte habe.
      Von dem was ich jedoch am Rande mitkriege gibt es da zwei Tendenzen.
      Zum einen wird wohl die Aktive Szene (Märkte, Musiker etc.) keiner, bzw. stagniert, um anderen
      gibt aber immer mehr Leute die (um eine Quelle zu zitieren) "nur sich und ihrem Hund zur Freude"
      Marktsack und oder (als quasi leise Variante) Hümmelchen spielen.
      Gute Connections hat da Alexander Zwingmann und ist mit seinem neu aufgezogenen Kurs (Nürnberger Borduntage)
      da anscheinend offene Türen eingerannt.
      So schlecht ist die Tendenz also gar nicht, der Wermutstropfen ist halt das der Aktive Teil,
      also die die wirklich aktiv auf Märkten unterwegs sind/mitwirken anscheinend kleiner wird.
      Das nahm ich aber nur aus dem vorher geschriebenen an und kann es nicht verifizieren


      Im Folk/BalFolk/Trad Sektor sieht es etwas anders aus.
      Ich bin in diesem selbst seit ziemlich genau 20 Jahren unterwegs.
      Damals gab es in ganz Ostdeutschland genau einen Kurs, der zum ersten mal 1998 stattfand.
      Entsprechende Kurse gab es im "Westen" natürlich schon länger, aber auch deren Zahl war nicht Legion.
      Guckt man sich die Kurslandschaft dagegen heute an gibt es Grund zum frohlocken.
      Der mobile Fan der Bordunmusik kann fast jedes Wochenende des Jahres auf einen Kurs fahren und/oder
      Tanzen gehen.
      Gleiches ist über die aktiven Spieler zu sagen.
      Als ich anfing war ich mit Abstand der Jüngste, in den Jahren danach kamen immer mehr neue und eben auch
      junge Leute dazu. Bands wie Bal Là, Zirp, Airu usw. sind da gute Beispiele.


      Soweit, so gut. Eine kurze Analyse wie es meiner Meinung zu dem Unterschied im aktiven Bereich der beiden
      Szenen kommt:
      Die Verbindung des Marktsacks mit dem Mittelaltermarkt ist eine ganz andere als die der Folk/Trad-Musik
      mit der BalFolkszene.
      Während in der zweitgenannten eine klare funktionelle Verbindung zwischen Konsument und Akteur besteht,
      ist dies bei ersteren nicht der Fall.
      Der Marktsack hat auf dem Markt vor allem (ich möchte fast sagen ausschließlich) unterhaltenden Charakter.
      Bordunmusik war jedoch schon immer Funktionsmusik, die nicht nur Unterhaltungswert hatte, sondern eben auch Tanzmusik war.
      Der Marktsacker macht also quasi "funktionslose" Funktionsmusik. Das soll nicht heißen das Dudelsackmusik im allgemeinen
      nicht auch als rein konzertante Musik möglich wäre, dann jedoch reden wir von einem musikalischen Level das
      weit über dem Standardniveau beider Szenen liegt.
      Stellt sich die Frage, warum hat die Mittelalterszene überhaupt funktioniert?
      Aus meiner Sicht daher, das es ein Interesse an dem Mittelalter an sich gab.
      Also Menschen die sich mit alten Handwerkstechnicken beschäftigt haben, andere Lebensweisen ausprobieren wollten
      (Stichwort Vermischung der Mittelalterinteressierten, Hippies und Punks) oder schlicht der Realität der Moderne
      entfliehen und sich in eine Fantasywelt flüchten wollten.
      Der Dudelsack ist dabei wenn man es genau nimmt nur ein Zubehörteil, nicht anders als Narrenkappe und Schnabelschuhe.
      An dieser Stelle ausdrücklich: Ich will damit nichts gegen den Marktsack sagen, ich versuche nur das von Gregorius
      beschriebene Phänomen zu erklären.
      Fällt nun die Masse derer die sich für's Mittelalter interessieren aus, steht der Marktsack auf einmal alleine da,
      da es zu wenige gibt die auf diesen um seiner selbst willen abfahren.
      Das ist wie gesagt im Trad bereich anders, kaum jemand der Tänzer setzt sich da mit der Geschichte des Instruments auseinander,
      interessiert sich für die Lebensweise im 17./18. Jhd usw. Die Musik wird quasi um ihrer selbst willen genossen.
      Soweit zur Erklärung der Unterschiede beider Szenen.


      Nun noch mal klar zu den Optimistischen Tendenzen:
      1. Wir haben in Deutschland definitiv mehr Dudelsackspieler als je zuvor in der Geschichte.
      2. Deren spielerisches Niveau ist in den letzten 40 Jahren deutlich angestiegen.
      Stücke die damals als unspielbar galten sind heute zum Teil Standards.
      3. Das Niveau der Verfügbaren Instrumente ist deutlich besser als am Anfang.
      4. Es gibt deutlich mehr Instrumentenbauer als vor 20/30 Jahren.
      Das heißt im Umkehrschluss, das die Nachfrage steigt, da trotzdem es mehr Bauer sind,
      trotzdem alle Arbeit haben
      5. Es gibt viel mehr und flächendeckender Kurse und Veranstaltungen als z.B. zu meiner Anfangszeit.



      Soweit erstmal das.
      Ganz nebenbei: Ich hock grad im Studio zusammen mit Callum Armstrong und wir treten den Beweis an
      das man auch mit nur zwei Dudelsäcken interessante und auch als konzertante Musik gut hörbare Musik machen kann.
      Also eine weitere (hoffentlich :) positive Tendenz
      Hier ist aber jetzt die Pause rum, daher alles zu dem Bereich "was können wir tun" später
      In diesem Sinn,
      Liebe Grüße,
      Mattis
    • mattis schrieb:

      Nun noch mal klar zu den Optimistischen Tendenzen:
      1. Wir haben in Deutschland definitiv mehr Dudelsackspieler als je zuvor in der Geschichte.
      2. Deren spielerisches Niveau ist in den letzten 40 Jahren deutlich angestiegen.
      Stücke die damals als unspielbar galten sind heute zum Teil Standards.
      3. Das Niveau der Verfügbaren Instrumente ist deutlich besser als am Anfang.
      4. Es gibt deutlich mehr Instrumentenbauer als vor 20/30 Jahren.
      Das heißt im Umkehrschluss, das die Nachfrage steigt, da trotzdem es mehr Bauer sind,
      trotzdem alle Arbeit haben
      5. Es gibt viel mehr und flächendeckender Kurse und Veranstaltungen als z.B. zu meiner Anfangszeit.

      Andreas schrieb:

      Nach meiner Erfahrung kommt man an Kinder dauerhaft nur über die Eltern. Begeisterte Kinder sind gut, aber die Eltern müssen davon überzeugt sein, dass sie ihr Kind bei etwas Wertvollem unterstützen.

      Lasst mich mal die Kernfrage etwas "re-framen"...

      Meine Befürchtung ist, dass die Bordun- und Folkszene allgemein zu einem Nischenprodukt erstarrt, welches nur von einer sehr kleinen Bevölkerungsgruppe am Leben erhalten und welche am Ende verschwinden wird, aufgrund von Nachwuchs-Problemen.

      Wie hoch schätzt ihr die Chance ein, dass die Bordun- und Folkszene allgemein das heute entstehende musikalisch-kreative Vakuum in der Gesellschaft rechtzeitig für sich beanspruchen wird und somit aus ihrem Nischendasein hinauswächst?

      Der kontinuerliche Fall der musikalischen Ansprüche der Bevölkerung und die immer gering werdende Toleranz gegenüber jeglicher Musik die nicht dem "Gewohnten" entspricht, hinterlassen immer mehr musikalische Leere die nur darauf wartet "ausgefüllt" zu werden. Wenn die eine Macht das Zepter fallen lässt, wird es immer von jemanden aufgefangen, sagt uns zumindest die Weltgeschichte :)
      Slow equals smooth and smooth equals fast
    • Nuja... hier schießen mir zwei Sachen durch den Kopf. Die eine ist: Kunst ist erst dann Kunst, wenn es jemand anderes behauptet - zum Künstlersein gehören neben dem Künstler und seinem "Produkt" vor allem öffentlich wahrgenommene Menschen, der das Produzierte als Kunst (oder auch gute Musik) proklamieren. Fürsprecher also. Das andere ist: Wir leben in einer Verpackungsgesellschaft. Was schön verpackt ist, wird auch gekauft. Klingt fatalistisch, ist es vielleicht auch, heißt aber aus meiner Sicht: Möchte man die Folkszene aus der Nische in die öffentliche Wahrnemung rücken, muss man dafür sorgen, von den richtigen Menschen wahrgenommen zu werden. Darauf warten, dass die Menschen (Achtung, bewusst ironisch-arrogant überspitzte Aussage) vor lauter Verzweiflung von alleine aufwachen und ihr Heil erkennen, wird nicht funktionieren.

      Persönlich teile ich deine Befürchtung bezüglich des Nachwuchsmangels derzeit allerdings nicht - ich sehe auf Kurswochenenden sehr viele enthusiastische und musikalisch fähige Leute, bei denen ich alter Sack immer denke, so jung war ich nie...
      Planung ersetzt den Zufall durch den Irrtum.

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