Ist der Mittelalter-Boom zu Ende?

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    • Naja, das hängt schon auch damit zusammen, wie man die Musik vermarktet und welches Image man ihr gibt. Wenn man ihr das Image des "Rebellischen" und Unangepassten gibt, wird sie austauschbar, denn es gibt viele Bands, die rebellisch und unangepasst sind und dabei wesentlich authentischer rüberkommen (eben, die Hosen, Onkelz etc.).

      Gleichzeitig finde ich, dass sich der Dudelsack aus der Versenkung holen lässt, wenn die Leute ihn einfach spielen - und zwar gut und anspruchsvoll. Eine gute Bühne ist vielleicht - so blöde es auch klingen mag - die Straße. Gute Straßenmusiker sind wahre Publikumsmagneten. Die Leute bleiben stehen und registrieren, was mit diesen Instrumenten möglich ist. Damit erreicht man auch Menschen, die niemals auf einen Mittelaltermarkt gehen würden. Und diejenigen, die es nicht interessiert, gehen einfach weiter. Wichtig hier wäre dann wohl, dass man nicht den Standardkram, sondern ausgefallene und "hochwertige" Sachen spielt. Es müssen nicht unbedingt Sommerweihnachtsmärkte bzw. Mittelaltermärkte sein.
    • Blooddigger schrieb:

      Naja, das hängt schon auch damit zusammen, wie man die Musik vermarktet und welches Image man ihr gibt. Wenn man ihr das Image des "Rebellischen" und Unangepassten gibt, wird sie austauschbar, denn es gibt viele Bands, die rebellisch und unangepasst sind und dabei wesentlich authentischer rüberkommen (eben, die Hosen, Onkelz etc.).

      Gleichzeitig finde ich, dass sich der Dudelsack aus der Versenkung holen lässt, wenn die Leute ihn einfach spielen - und zwar gut und anspruchsvoll. Eine gute Bühne ist vielleicht - so blöde es auch klingen mag - die Straße. Gute Straßenmusiker sind wahre Publikumsmagneten. Die Leute bleiben stehen und registrieren, was mit diesen Instrumenten möglich ist. Damit erreicht man auch Menschen, die niemals auf einen Mittelaltermarkt gehen würden. Und diejenigen, die es nicht interessiert, gehen einfach weiter. Wichtig hier wäre dann wohl, dass man nicht den Standardkram, sondern ausgefallene und "hochwertige" Sachen spielt. Es müssen nicht unbedingt Sommerweihnachtsmärkte bzw. Mittelaltermärkte sein.
      Besser kann man es m. E. nicht ausdrücken.
      Es heißt ja nicht, dass man keinen Spass haben soll oder "Gassenhauer" nicht erlaubt wären. Aber nur aus der Masse Hervorstechendes ist geeignet, überhaupt auf Dauer zu überdauern - die Frage ob dann in einer Nische oder zugänglicher für breites Publikum ist eine andere / zweite Frage.
    • Ich von meiner Seite tue z.B. Folgendes, um den Marktsack als Musikinstrument und den Mittelaltermarkt-Flair am Leben zu erhalten...

      Mein selbstauferlegter Auftrag ist den Marktsack musikalisch und spieltechnisch solange zu erforschen bis ich in der Lage bin ein spieltechnisches Niveau an den Tag zu legen die man normalerweise von Sackpfeifen mit einer lebendigen und direkten Tradition kennt. Der Marktsack, als Neuentwicklung, hat bis heute kein allgemein bekanntes spieltechnisches Grundgerüst, und ich habe mir während der letzten 14 Jahre eben ein solches ausgearbeitet. Siehe den dazugehörigen Thread.

      Ja, ich spiele Bekanntes, ich spiele auch "Traubentritt" und "Stella Splendens", aber wenn man das angemessen langsam macht und die Musik mit der für den Marktsack passender Spieltechnik würzt, ist der klangliche Gesamteindruck auf einmal total anders als wir das von Corvus & Co. kennen! Und die Wirkung auf mein Publikum ist deutlich anders, besonders sichtbar an der Reaktion von den Leuten die von Musik was verstehen. Und ja, die vom verehrten Vorredner beschriebene Situation...

      Blooddigger schrieb:

      Musiker, die ihre Instrumente beherrschen und virtuos damit umgehen, werden von der breiten Masse nicht wahrgenommen, weil die Musik zu edgy ist. Sie bewegt sich außerhalb der eigenen musikalischen Gewohnheiten und Grenzen und es ist einfach...zu viel.
      ... ist mehr als spürbar.

      Es ist der Anspruch an mich selbst dass ich irgendwann fähig bin mit meinem Güntzel-Ross-Marktsack auf demselben Podest wie ein Highland piper oder ein Gaitero zu stehen, wo ich eine Musik abliefern kann, die zur Musik der Kollegen aus Schottland oder Spanien keinerlei Qualitätsgefälle erkennen lässt. Genauso durchdacht, komplex, spieltechnisch abgestimmt und sauber. Ich bin der Überzeugung dass man diesen Weg einfach gehen muss, wenn wir wollen dass der Marktsack als Instrument am Leben bleiben soll. In letzter Zeit macht es mir persönlich sogar Lust und Laune wenn ich Leuten begegne die dem Marktsack negativ eingestellt sind - sie erwarten Getröt mit einem bereits im Voraus zusammengekniffenen Gesicht, sind aber total überfordert wenn ich eben nicht so spiele wie sie erwartet haben. Das sagt mir dann immer sehr deutlich dass ich den richtigen musikalischen Nerv getroffen habe.

      Ohne ein solides spieltechnisches Grundgerüst hat der Marktsack, meiner Meinung nach, keine Chance auf Qualität und somit auf eine Zukunft.

      Genauso wie die MA-Märkte, wenn diese weiterhin auf Kitsch und Klischee als ihren hauptsächlichen selling point setzen.


      Grüße, George
      Slow equals smooth and smooth equals fast
    • Schelmenkopf schrieb:



      ...aber ohne ideologische Aufladung oder Öko-Bullerbü-Kitsch. Interesse an Selbstgemachtem und Selbst machen sollte im Vordergrund stehen, sowie der eigenen Geschichte, mit dem Fortführen von Tradition und deren Neuinterpretation, die eine Weitergabe an die nächste Generation ermöglicht.
      ....und in der deutschen Mentalität ist das Nörgeln und Kritisieren gepaart mit Neid und dem Mangel an Bereitschaft die Beweggründe des Gegenübers zu verstehen deutlich ausgeprägter, als es z.B. bei den Amerikanern ist, die in ihrer Mentalität offener für Neues (mein subjektiver Eindruck) sind.
      Ja, das kann man bejahen - auch wenn die Offenheit der Amis manchmal in Oberflächlichkeit abdriftet und daraus dann wieder auf Konsum ausgerichtete, Massen-Kitsch-Produkt-Kultur entsteht.

      Wenn wir uns mal wieder auf die Tugenden der Dichter und Denker zurückbesinnen würden und nur Sachen eben so tief durchdenken würden, wie es einst unser Ruf war (die Ents lassen grüßen), wäre schon viel gewonnen. Gepaart mit der berühmten deutschen Gründlichkeit könnte man daraus im Ergebnis Trends entwickeln wie der angesprochene, der sowohl der mittelalternativen Musik/dem Marktsack oder auch den Märkten zum Überleben helfen würde.
    • Wenn ich, früher oder später, einen Mittelaltermarkt-Gig aufsetzen werde, dann wird dieser nach dem Prinzip des educational entertainment aufgebaut sein.

      Es gibt bei uns bereits gute Vorbilder aus dem Bereich des Reenactment/Living History, z.B. Kaptorga und Geschichtsfenster welche auch gleichnamige YouTube-Kanäle besitzen und die sich auf korrekte historische Darstellungen des Mittelalters und Medienberatung spezialisiert haben. Deren Erfahrung zeigt, dass die Lust der Normalbürger nach eigentlichem historischen Mittelalter durchaus vorhanden ist, und oft ist es so dass das Echte viel krasser und interessanter rüberkommt als typische Klischees, welche die meisten nur noch gähnen lassen.

      1). Ich würde die Darstellungszeit präzise formulieren, und zwar die erste Hälfte des 14 Jh., so zwischen 1320ern und 1340ern. Zum ersten lassen sich aus dem Zeitraum viele visuelle Vorbilder für meinen Marktsack finden, zum zweiten gibt es in dieser Zeit viele schaurige Themen wie z.B. der Großer Hunger 1315-1317 und die Pest von 1347-1352, alles Themen und Geschichten aus historischen Quellen die den Menschen in der heutigen Pandemie doch sehr bekannt vorkommen werden. Ergo, der Anschluss an das Bekannte und Alltägliche.

      2). Ich würde auf jegliches Leder oder Fell verzichten, stattdessen wird ein Franziskaner-Habit der Aufgabe bestens gerecht; bequem, einfach und historisch relativ korrekt für die erste Hälfte des 14 Jh.

      3). Es wird im Grunde eine Geschichtsstunde werden die möglichst komplett in eine gesellig-romantische Kulisse eingepackt wird.

      4). Keine akustische Überlastung. Ein Sackpfeifer und ein Perkussionist reichen völlig aus, zudem ist diese Kombo auch historisch bestens belegt.

      Eigentlich gehört da erstaunlich wenig dazu. Geschichten aus der Geschichte gibt es schon zuhauf. Der Marktsack und sein Platz in der Welt kann vom Publikum viel besser verstanden werden wenn man über die Rostocker Spielpfeife erzählt oder gar den Marktsack mit Tape so abklebt, dass es die Tonreihe der originalen Rezanka-Rekonstruktion ergibt. Die explizite Empfehlung zu der Sackpfeifenmusik zu tanzen ist, meiner Auffassung nach, sehr wichtig, genauso wie die angemessene Spielgeschwindigkeit. Kein Marktsprech. Keine Klischees. Aber reichlich romatische Atmosphäre! Die Geschichten die man erzählt können sich z.B. um die Küche des 14 Jh. drehen, wir haben da einige Quellen und jeder aus dem Publikum könnte - zumindest theoretisch - diese ja selbst nachkochen und probieren.

      Im Endeffekt würde ich mithilfe der Geschichten aus der Geschichte, der langsameren und höherwertigen Marktsackmusik auf das Erzeugen einer angenehmen sozialen Atmosphäre abzielen, sowohl für die Jüngeren als auch für Ältere.


      Grüße, George
      Slow equals smooth and smooth equals fast
    • George schrieb:

      1). Ich würde die Darstellungszeit präzise formulieren, und zwar die erste Hälfte des 14 Jh., so zwischen 1320ern und 1340ern. Zum ersten lassen sich aus dem Zeitraum viele visuelle Vorbilder für meinen Marktsack finden, zum zweiten gibt es in dieser Zeit viele schaurige Themen wie z.B. der Großer Hunger 1315-1317 und die Pest von 1347-1352, alles Themen und Geschichten aus historischen Quellen die den Menschen in der heutigen Pandemie doch sehr bekannt vorkommen werden. Ergo, der Anschluss an das Bekannte und Alltägliche.

      2). Ich würde auf jegliches Leder oder Fell verzichten, stattdessen wird ein Franziskaner-Habit der Aufgabe bestens gerecht; bequem, einfach und historisch relativ korrekt für die erste Hälfte des 14 Jh.

      3). Es wird im Grunde eine Geschichtsstunde werden die möglichst komplett in eine gesellig-romantische Kulisse eingepackt wird.

      4). Keine akustische Überlastung. Ein Sackpfeifer und ein Perkussionist reichen völlig aus, zudem ist diese Kombo auch historisch bestens belegt.

      Eigentlich gehört da erstaunlich wenig dazu. Geschichten aus der Geschichte gibt es schon zuhauf. Der Marktsack und sein Platz in der Welt kann vom Publikum viel besser verstanden werden wenn man über die Rostocker Spielpfeife erzählt oder gar den Marktsack mit Tape so abklebt, dass es die Tonreihe der originalen Rezanka-Rekonstruktion ergibt. Die explizite Empfehlung zu der Sackpfeifenmusik zu tanzen ist, meiner Auffassung nach, sehr wichtig, genauso wie die angemessene Spielgeschwindigkeit. Kein Marktsprech. Keine Klischees. Aber reichlich romatische Atmosphäre! Die Geschichten die man erzählt können sich z.B. um die Küche des 14 Jh. drehen, wir haben da einige Quellen und jeder aus dem Publikum könnte - zumindest theoretisch - diese ja selbst nachkochen und probieren.

      An sich ja eine coole und lobenswerte Idee, aber ich sehe da zwei grundsätzliche Probleme:

      1. Das wäre eine Veranstaltung von Nerds für Nerds. Das ist okay, aber es würde nicht zur Popularität des Dudelsacks beitragen (mehr dazu unter 2.). Das Hauptproblem ist - und das wissen viele Menschen wahrscheinlich nicht (woher auch?) - Mittelalter ist NICHT geil. Ich bin studierter Altgermanist und promovierter Mittelalterhistoriker und behaupte mal, dass ich was von der Materie verstehe. Das Mittelalter ist ein super spannendes Forschungsfeld und hochinteressant, aber es ist eben etwas, was die Menschen zu Recht hinter sich gelassen haben. Es wird nicht funktionieren, diese Epoche zu romantisieren, wenn man es einigermaßen authentisch macht. Eines von beiden mag gehen, beides zusammen auf keinen Fall. Macht man es authentisch, fühlt sich dort außer Nerds niemand wohl. Macht man es romantisch, ist es Kitsch.

      2. Speziell auf den Dudelsack, genauer: Den Marktsack bezogen: Wenn man auf solchen Veranstaltungen einigermaßen authentische Instrumente, genauer: Dudelsäcke spielen würde, haben die mit den heutigen Instrumenten nichts zu tun. Wie du schon schreibst, es wären sehr spezielle Instrumente, die nicht den heutigen Marksäcken entsprechen. Das mag cool sein, hilft dem Marktsack aber auch nicht weiter, weil er eben ein anderes Instrument ist. Worin sich historische Dudelsäcke von modernen Instrumenten unterscheiden, weiß ich nicht, weil ich nicht tief genug in der Materie drin bin, aber was ich weiß, ist dass alle Instrumente, die wir heute spielen nichts bis gar nichts mit historischen Instrumenten zu tun haben. Es sind entweder Weiterentwicklungen oder komplett neue Instrumente (allein schon, weil die "historische" Technik heute nicht mehr zeitgemäß ist und man heute einfach zuverlässigere Instrumente baut). Was passiert dann also? Man hört auf so einer Veranstaltung ein Instrument, das man so noch nie gehört hat. Man findet es vielleicht sogar cool und sucht danach gezielt nach solcher Musik und ist dann enttäuscht, wenn man nur die üblichen, ollen InEx-Marktsäcke zu hören bekommt (ist nicht abwertend gemeint).

      Ich glaube, mit solchen Veranstaltungen würde man nur Nerds ansprechen und das trägt nicht zur Popularität des Dudelsacks bei. Mein Ansatz wäre, wenn man den Dudelsack aus seinem Nischendasein befreien will (ob das wirklich sein muss, ist eine andere Frage): Zeigt der breiten Masse, was dieses Instrument kann. Spielt es auf der Straße, spielt es bei Youtube, spielt es bei Instagram und spielt es sonstwo, nämlich da, wo sich nicht nur Nerds tummeln. Und vor allem: Spielt es gut und virtuos! Ein Großteil der Masse wird euch nicht zur Kenntnis nehmen (und das ist okay), aber ihr habt die Chance, Leute mitzureißen, die vorher nicht mal wussten, was ein Dudelsack ist. Die MPS-Leute habt ihr schon in der Tasche, die mögen Dudelsäcke. Es geht um diejenigen, die ihr noch nicht in der Tasche habt :)
    • @subi @Blooddigger

      Ja, absolut, laut meiner eigenen Erfahrung war der qualitativ hochwertige Mittelaltermarkt a.k.a. Medieval Faire bisher schon immer nur für Nerds! Wenn man z.B. die MA-Märkte in Deutschland so wie diese in den 80ern und 90ern waren, mit dem was in den 2000ern populär war, dann fand meiner Meinung nach eine schleichende "Fußballisierung" der ganzen MA-Markt-Szene, was die plötzliche Popularität des MA-Marktes in den 2000ern über die meisten demografische Grenzen hinweg erklären könnte. Man stand ab den späten 2000ern immer öfters auf dem Markt und dachte man befinde sich unter feienden Fußballfans; Alkohol, Fan-Gesänge, ausgelassenes Gegröll, diese Tendenz veranlasste mich in den 2010ern immer mehr dazu MA-Märkte zu meiden, da ich mit dieser Art zu feiern einfach persönlich nichts anfangen kann.

      Genau diese Art von Publikum (die heute 45+ Jahre alten Vertreter der GenX und die älteren Millennials) wollte eben das, was wir hier Kitsch nennen, simple altbackene Klischees zum Abschalten. Mittelalter ist nicht "goil", richtig, aber so ist auch Bushcraft/Survival, wo es bekanntlich darum geht sich in Extremsituationen zu begeben um diese unter z.T. recht harten Entbehrungen zu meistern. Aber es sind ja ausgerechnet Vertreter der Millennials und GenZ die sich für diese Themen richtig begeistern lassen, eben nicht das ältere Semester ab 35. Sind das alles auch nur "Nerds"? Ich wage die These dass das, was wir bisher klassisch "Nerd" nannten, sich immer weiter verwischt, aufgrund der weiter steigenden Dominanz der Unterhaltungstechnik über alle Bevölkerungsschichten hindurch. Besonders in den Reihen des GenZ scheinen solcherlei Zuordnungen langsam keinen Sinn mehr zu machen, das ist zumindest meine Erfahrung als Pädagoge welcher in der Jugendarbeit unterwegs war bzw. ist.

      Und die Frage die sich mir stellt ist... muss man dieses 35+ Publikum weiterhin überhaupt bedienen??? Es wird, m.M.n., einfach zwingend mit leeren Kassen enden, denn weder Boomer noch GenX sind heute das Publikum welchem man hinterher rennen soll. Ein typisches hochqualitatives Outdoor-Video; Begrüßung, Loadout (Ausrüstung), Wandern, Wasser suchen, Übernachten, Kämpfen gegen Kälte, Wind und Regen, alles wird dokumentiert, Erfahrungen am Ende des Videos zusammengefasst. Und solcherlei Videos haben i.d.R. Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Views. Dasselbe Schema wäre im MA-Bereich absolut machbar (echte Geschichte als Hintergrund, Kleidung und Werkzeug-Loadout, Möglichkeit für Besucher selbst Hand anzulegen, Live-Experimente, usw.) und würde theoretisch ein weit größeres Publikum ansprechen als das was man früher "Nerds" nannte.

      Im konkreten Falle des Marktsackes...

      Blooddigger schrieb:

      Zeigt der breiten Masse, was dieses Instrument kann. Spielt es auf der Straße, spielt es bei Youtube, spielt es bei Instagram und spielt es sonstwo, nämlich da, wo sich nicht nur Nerds tummeln. Und vor allem: Spielt es gut und virtuos! Ein Großteil der Masse wird euch nicht zur Kenntnis nehmen (und das ist okay), aber ihr habt die Chance, Leute mitzureißen, die vorher nicht mal wussten, was ein Dudelsack ist.

      Blooddigger schrieb:

      Eine gute Bühne ist vielleicht - so blöde es auch klingen mag - die Straße. Gute Straßenmusiker sind wahre Publikumsmagneten. Die Leute bleiben stehen und registrieren, was mit diesen Instrumenten möglich ist. Damit erreicht man auch Menschen, die niemals auf einen Mittelaltermarkt gehen würden. Und diejenigen, die es nicht interessiert, gehen einfach weiter. Wichtig hier wäre dann wohl, dass man nicht den Standardkram, sondern ausgefallene und "hochwertige" Sachen spielt. Es müssen nicht unbedingt Sommerweihnachtsmärkte bzw. Mittelaltermärkte sein.
      ... unterschreibe ich jedes Wort!

      Bereits vor einem Jahrzehnt habe ich die Entkopplung zwischen MA-Markt und Marktsack in einschlägigen Foren propagiert, und inzwischen hat sich an dieser Einstellung nichts verändert. Straßenmusik erscheint mir die wirklich bessere "Bühne" für den Marktsack, denn ich habe im Grunde seit einem Jahr eben das gemacht. Spielen in der Natur, inklusive Zuhörer aus den Reihen der Spaziergänger. Der Unterschied zum typischen fußball-orientierten heute 35+ Jahre alten Publikum der Märkte, in Bezug auf deren Reaktion, war gravierend! Und das eindeutig in positive Richtung.

      Manche Leute finden meine "Besessenheit" mit der Schaffung eines spieltechnsichen Grundgerüstes für den Marktsack z.T. nur nervig, aber man muss sich da fragen, wie soll man denn Marktsack gut oder gar virtuos spielen wenn ein solches Grundgerüst gänzlich fehlt bzw. muss sich erst über Jahre im Internet zusammenkratzen lassen??? Dann passiert es eben dass Sackpfeifer, auf der Suche nach Steigerung ihrer Spielfähigkeiten, sich anderen Sackpfeifen zuwenden, wo eben solcherlei Grundgerüste bereits seit langer Zeit in direkter Tradition bestehen und gelehrt werden.


      Grüße, George

      PS: Bisher dachte ich dass der Marktsack ohne die MA-Szene kaum überlebensfähig ist. Inzwischen bin ich aber von dieser Position weitgehend abgerückt, wenn man das "alte Publikum" nicht mehr als Referenz nimmt. Wenn sich die Millennials und Zoomer des Instrumentes in ihrem eigenen Kontext annehmen, dann steht der Marktsack zumindest theoretisch schon mal viel besser da.
      Slow equals smooth and smooth equals fast

      Dieser Beitrag wurde bereits 4 mal editiert, zuletzt von George ()

    • Hej Zusammen,
      spannend mal wieder.
      Eine Frage/Denkanstoß zur Entkopplung des A-Schweins vom Markt:
      Die Frage die sich mir stellt ist die: Was für eine Funktion erfüllt (und erfüllte) das Instrument?
      Ein Großteil der "historischen" Instrumente, sprich die die nach entsprechenden Revivals in der Folk/Trad Szene gespielt werden sind
      Instrumente für Tanzmusik. Was mir dabei im Vergleich it dem A-Schwein kritisch erscheint, ist, dass so gut wie alle anderen Dudelsäcke deutlich leiser sind.
      (Von der GHB und modernen Gaitas/Bretonenzeug mal abgesehen).
      Lautstärke scheint also in beide Richtungen (zu leise/zu laut) ein Kriterium für die Verwendbarkeit in der Tanzmusik zu sein.
      Das A-Schwein erfehlt da das Ziel - was ich gar nicht schlimm finde.
      Nur: Welche musikalische Rolle belibt ihm? Mal von ausgehend das Dudelsäcke egal welcher Art nie (oder sehr unwahrscheinlich) Mainstream werden werden
      scheint mir das Bedenkenswert. Zu seiner heutigen Form gelangte das A-Schwein durch den Bedarf an einer Outdoortauglichen akustischen Beschallung für (und jetzt kommt's) Märkte!
      Wo seht ihr da langfristige Alternativen?
      Grüße,
      Mattis
    • Mein Vorschlag bzw. meine Idee zielte auf die Entkopplung vom Mittelalter ab und nicht auf die Entkoppelung vom Markt/Massenveranstaltungen. Man kann und sollte den Marktsack ja durchaus auf Massenveranstaltungen spielen, aber halt nicht mehr ausschließlich auf Mittelaltermärkten (Stadtfeste, Straßenfeste, Weihnachtsmärkte etc.). Es wäre eine willkommene Alternative zum Blechblasspielmannszug der örtlichen Feuerwehr. Oder eben: auf der Straße, in den Städten, vorm Karstadt etc. Gleichzeitig eignet er sich sicher auch für andere "Zwecke", bspw. wenn man ihn (gekonnt!) in andere Musikstile integriert, z.B. im Metal. Es gibt einige Beispiele, die zeigen, dass das funktioniert, und zwar jenseits des InEx/SaMo-Mainstreams.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Blooddigger ()

    • mattis schrieb:

      Das A-Schwein erfehlt da das Ziel - was ich gar nicht schlimm finde.
      Nur: Welche musikalische Rolle belibt ihm? Mal von ausgehend das Dudelsäcke egal welcher Art nie (oder sehr unwahrscheinlich) Mainstream werden werden
      scheint mir das Bedenkenswert. Zu seiner heutigen Form gelangte das A-Schwein durch den Bedarf an einer Outdoortauglichen akustischen Beschallung für (und jetzt kommt's) Märkte!
      Wo seht ihr da langfristige Alternativen?
      Ich sehe da diesselben Alternativen welche bereits für z.B. die GHB und die Gaita Gallega realisiert wurden.

      Zum Ersten haben sich GHB und Gaita im Bereich Straßenmusik fest etabliert, natürlich an erster Stelle in den Ursprungsländern dieser Instrumente, und machen dort (vom Ort und Region abhängig) das typische Bild eines Straßenmusikers aus. Gajdas aus Bulgarien und Mazedonien sind ebenfalls, so habe ich mir sagen lassen, reichhaltig auf Straßen der Balkanländer vorhanden.

      Zum Zweiten, GHB, Gaita und auch die bretonische Bombarde als Bestandteil einer "Bagad" haben schon längst die Bühnen und Konzertsäle erobert, weit abseits Militärparaden und historischer Märkte, und geben vollwertige Konzerte auf demselben Niveau wie klassische Orchester (und oft auch mit diesen zusammen). Dementsprechend ist die demografische Reichweite dieser Instrumente sehr groß.

      Der Haken an der Sache ist leider immer derselbe...

      Es gibt genug Leute welche GHB, Gaita, Gajda, Bombarde, usw. auf sehr hohem Niveau spielen können und auch Individuen unter diesen, die man als Virtuosen bezeichnen kann. Dieses Können baut aber selbstverständlich auf einem tradierten spieltechnischen Grundgerüst, welches beim Marktsack bis heute fehlt! Gute Straßenmusik und erst recht Konzertbühnen verlangen von jedem Instrument einfach ein bestimmtes spieltechnisches Niveau ab, um erfolgreich zu sein, und das kann Marktsack bis heute nicht liefern. Da fehlt schlicht die Basis.

      Individuelle spieltechnische Experimente von Privatpersonen und Einzelfälle wie Nils Plogstedt sind zwar schön und gut, verändern aber das Gesamtbild kaum. Das Erarbeiten eines gemeinsames spieltechnischen Grundgerüstes müsste von daher zum Hauptthema in der Marktsack-Community werden, leider scheint in der besagten Community keiner so recht ein Interesse daran zu haben. Stattdessen sieht man zu wie ein(e) Marktsacker(in) nach dem Anderen zu anderen Sackpfeifen abwandert, da dort tradierte Grundgerüst & Repertoire einfach eine schnellere Lernkurve bieten und ein besseres Klangergebnis in kürzerer Zeit erreicht werden kann.

      Derartige Passivität der Community, und das im Ursprungsland des Marktsackes, kann ich mir einfach nicht erklären.


      Grüße, George
      Slow equals smooth and smooth equals fast
    • Das hängt damit zusammen, dass die von dir genannten Instrumente allesamt eine mehrere hundert Jahre alte Tradition haben. Vorläufer von Hümmelchen, Schäferpfeife, Gaitas und die GHBs gibt's schon seit mehreren Jahrhunderten. Hinzu kommt: Es waren Volksinstrumente, d.h. viele Menschen haben diese Instrumente gespielt. Diese Spieltechnik, von der du sprichst, ist ja auch nicht über Nacht vom Himmel gefallen, sondern wurde über Jahrhunderte entwickelt und weiterentwickelt und zwar von vielen Spielern, die sich mit dem Instrument und seinem Potenzial auseinandergesetzt haben. Dem Marktsack fehlt erstens diese Tradition und zweitens war und ist es ein Nischeninstrument. Es ist ein Instrument, das noch keine 50 Jahre alt ist und wird eben nicht "vom Volk", sondern Liebhabern des Instrumentes gespielt.
    • Blooddigger schrieb:

      Das hängt damit zusammen, dass die von dir genannten Instrumente allesamt eine mehrere hundert Jahre alte Tradition haben. Vorläufer von Hümmelchen, Schäferpfeife, Gaitas und die GHBs gibt's schon seit mehreren Jahrhunderten. Hinzu kommt: Es waren Volksinstrumente, d.h. viele Menschen haben diese Instrumente gespielt. Diese Spieltechnik, von der du sprichst, ist ja auch nicht über Nacht vom Himmel gefallen, sondern wurde über Jahrhunderte entwickelt und weiterentwickelt und zwar von vielen Spielern, die sich mit dem Instrument und seinem Potenzial auseinandergesetzt haben. Dem Marktsack fehlt erstens diese Tradition und zweitens war und ist es ein Nischeninstrument. Es ist ein Instrument, das noch keine 50 Jahre alt ist und wird eben nicht "vom Volk", sondern Liebhabern des Instrumentes gespielt.
      Und ab da wirds richtig interessant!

      Die erwähnten Schäferpfeife und Hümmelchen existierten zwar jahrhundertelang, quasi ab dem 17 Jh. bis ins 19 Jh. eindeutig belegt, die Spieltraditionen dieser Sackpfeifen wurden aber komplett unterbrochen. Wir wissen heute zwar über den prinzipiellen physischen Aufbau der Spielpfeifen anhand einer Handvoll Artefakte, aber gar nichts darüber welche Spieltechnik und welches Repertoire da zur Anwendung kam. Die moderne Schäferpfeife ist physisch und spieltechnisch ein Ableger der Cornemuse du Centre, es liegt keinerlei Kontinuität vor in Bezug auf historische Schäferpfeifen, deswegen wird hier, was ganz logisch ist, auf die französische Sackpfeifentradition zurückgegriffen. Als Folge haben wir heute viele sehr fähige Schäferpfeifer in der Szene.

      Das Hümmelchen befindet sich aber mehr oder weniger in derselben Situation wie der Marktsack. Kein überliefertes spieltechnisches Grundgerüst, kein originales Repertoire. Soweit ich weiß, wurden Hümmelchen tatsächlich ab den 1970er Jahren überhaupt wieder rekonstruiert und in nennenswerten Zahlen gebaut, was bedeutet das moderne Hümmelchen, so wie wir es kennen, ist nur unwesentlich älter als der Marktsack. Und dennoch(!) ist das Hümmelchen in der Folkszene, HAP, Sackpfeiferkreisen und unter Amateuren viel etablierter, zahlreicher vorhanden und es gibt eine ganze Fülle an Musikern die es sehr gut beherrschen inklusive passender Spieltechnik die sich seit den 1970ern ganz von sich selbst durchgesetzt hat! Es gibt viele gut besuchte Hümmelchen-Kurse geleitet von ausgezeichneten Dozenten.

      Offenbar hat es das Hümmelchen in den letzten 40 Jahren durchaus geschafft als vollwertiges Instrument akzeptiert zu werden, trotz komplett unterbrochener Spieltradition, und das eben weil die Community sich ins Zeug gelegt hat und all das erarbeitete was dem Instrument eben fehlte. Es ist heute selbst auf Konzertbühnen zu finden, genauso wie GHB oder Gaita, und es lassen sich mit Leichtigkeit Videos finden wo Hümmelchen auf hohem musikalischen Niveau gespielt werden.

      Ein ähnlicher Einsatz der Marktsackspieler-Szene für ihr Instrument, die Marktsackpfeife, ist meiner Beobachtung nach bisher ausgeblieben.
      Slow equals smooth and smooth equals fast
    • Aus gegebenem Anlass... :pinch:

      Es scheint mittlerweile so zu sein, dass das meiste, was den Menschen heute als "Mittelalter" überall in den Medien und von der Unterhaltungsindustrie angeboten wird, nicht einmal den Begriffen wie "Kitsch" oder "Klischee" gerecht wird.

      Es sind moderne realitätsferne Schauermärchen!

      Und dann wundern wir uns dass die Menschen (und vor allem die jüngeren Generationen) heute um so vieles, wo "Mittelalter" drauf steht, zunehmend eine weiten Bogen machen. Selbst wenn man sich einfach mal gehen lassen will und ein schönes und kitschiges romantisch verklärtes Mittelalter möchte, selbst das scheint nicht mehr drin zu sein. Alles was man bekommt sind ausgelutschte und längst widerlegte Schauermärchen.

      Slow equals smooth and smooth equals fast
    • Ich schaue mir sowas aus Prinzip nicht an. Das Problem ist ja, dass das Mittelalter 1000 Jahre (!!!) umfasst und dass Versuche, diese Zeitspanne in 45 oder 60 Minuten zu packen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Wegen dieser langen Zeitspanne gab es "das" Mittelalter schlicht nicht. Ich habe mich ja sehr lange und sehr intensiv mit dem Mittelalter beschäftigt, weiß aber trotzdem nur über Spezialaspekte fundiert Bescheid.

      Das Problem ist ja auch, dass hier gezielt Schauermärchen verbreitet werden, damit die Menschen sich daran ergötzen können, wie toll sie heute sind. Der "Alltag" der Menschen war sicherlich ungeil, aber gerade geistesgeschichtlich ist das Mittelalter eine extrem unterschätzte Zeit.
    • @Blooddigger
      Es fängt damit an dass Medien und die akademische Welt hier und dort etwas ein bisschen einfach formulieren, etwas verallgemeinern, eine belanglose Vermutung äußern oder das Publikum nur etwas schockieren wollen. Es entsteht ein Faktoid welcher sich dann durch die Medien rasant verbeitet und man merkt es kaum wie die nächste Generation von Historikern allen Ernstes behauptet dieser Faktoid sei "historisch" und hat auch kein Problem damit diesen in die Schulbücher aufzunehmen. Hier nur ein Paar Beispiele.

      - Ritter in voller Rüstung wird in den Sattel mit einem Kran gehievt. Erfunden durch Mark Twain als Satire, im Film "Henry V" (1944) medienwirksam in Szene gesetzt (trotz Protesten von Fachleuten) und ab der 2. Hälfte des 20 Jh. wanderte dieses Bild des Ritters als "Fakt" in die Schulbücher. Ich habe persönlich drei solche Bücher in einer Grundschulbibliothek gesichtet.

      - mittelalterliche Rüstungen sind super schwer und unbeweglich, mittelalterliche Schwerter wiegen eine Tonne, sind komplett stumpf und werden wie Keulen geschwungen. Obwohl die entsprechende Quellenlage schon in der 2. Hälfte des 19 Jh. durch Fachleute gesichtet wurde, haben die Historiker des 20 Jh. die "stumpf, schwer & unbeweglich" - Saga emsig verbreitet.

      - alle trinken Bier weil Wasser angeblich verseucht ist, extrem teure Gewürze werden über billiges halb verrottetes Fleisch gekippt, die Menschen im Mittelalter wälzten sich förmlich im Dreck, die Liste an Schauermärchen die von Historikern (!!!) bis heute rezitiert werden ist lang.

      Was ich mich wirklich frage ist...
      ... wenn nicht-studierte Leute aus der HEMA-Bewegung und aus dem Reenactment / Living History z.T. ein sehr spezifisches und allgemeines Wissen über die Sachkultur des Mittelalters besitzen die jenem eines hochstudierten Historikers und der Massenmedien um Größenordnungen überlegen ist, haben da die hochstudierten Prof.'s und Dr.'s aus dem entsprechenden Wissenschaftsbereich nicht langsam ein Glaubwürdigkeitsproblem??? Wie oft haben denn die (ausgerechnet) britischen Historiker uns in den Medien erzählt wie dieses oder jenes Schwert, Sackpfeife oder Hygienebräuche "so viel besser und überlegen" ist, nur um dann vom belesenen Laien im Internet oder per E-Mail mit entsprechenden Quellen zugeworfen werden die seine/ihre Aussage komplett widerlegen?

      Diese (mittlerweile ziemlich weit klaffende) Diskrepanz zwischen gebildeten Laien und hochstudierten Prof.'s und Dr.'s hinterlässt bei den meisten Menschen immer ein gewisses Nachgeschmäckle.
      Slow equals smooth and smooth equals fast