Godfather of Marktsackpfeife?

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    • Godfather of Marktsackpfeife?

      Hallo,
      ich weiß sehr wohl, dass den meisten das Thema zum Hals raushängt, aber ich als noch unerfahrener Anfänger, will mir endlich Klarheit im leidigen Thema "Wer hat´s denn nun erfunden?" schaffen.

      Um gleich zur Sache zu kommen: Hat Roman Streisand den Marktsack erfunden, oder nicht? Unter dem Youtubevideo von Folkfriends kann man ja den ein oder anderen epischen Kommentar lesen, aber richtig schlau bin ich daraus auch nicht geworden... :(

      Was spricht ganz klar dagegen? Im Video macht Roman ja den Anschein, dass es gar nicht anders sein kann 8|

      Ich möchte hier auf KEINEN Fall einen "Läster-Thread" starten, ich möchte nur Informationen,von Leuten, die es besser wissen als ich ;)

      Lg,

      Leon
    • Ohne es sicher zu wissen, stellt sich mir persönlich die Sache so dar, als wäre Roman sicherlich ein "Mann der ersten Stunde" gewesen, aber nicht alleine. Er selbst spricht ja auch z.B. von Klaus Stecker.

      Imho waren aber die ersten halbwegs hörbaren Ergebnisse von Wim (CC). Und die sind so dermaßen "anders", dass ich sie für Eigenentwicklungen ohne konkretes Vorbild halte...

      Ich denke also, es waren mehrere Leute beteiligt, die sich teilweise ausgetauscht haben, teilweise aber auch nicht. Populär gemacht hat ´s auf jeden Fall in erster Linie Corvus Corax. Mit den Eigenbauten von Wim...
    • Moin,

      also los ging es so Ende der 70iger / Anfang der 80iger in der DDR (bzw. Ostberlin plus Ostberliner Umland) mit der Entwicklung von Dudelsäcken. Aus dem dann irgendwann der Marktsack entstand.

      Um es zu verstehen wie es dazu kommen konnte, muss man erst mal verstehen wie die Mittelaltermärkte damals waren und welche Möglichkeiten die Leute hatten ihr Hobby zu betreiben.

      Historische Märkte entwickelten sich ja schon seit den 60igern in beiden deutschen Staaten, allerdings sehr unterschiedlich.
      Während in der BRD sich schnell eine kleine, feine Szene entwickelte, die sich nahe an der Grünen/Anti-Atombewegung bewegte,
      wurde die kleine Szene in der DDR vom Staat stark unterdrück/behindert (wie es eigentlich der ganzen Folk-Szene in der DDR ging - Das waren Staatsfeinde).
      Mittelaltermärkte waren verboten (mit Ausnahmen der vom Staat organisierten und da durfte nicht jeder drauf), man hat sie unter anderem Vorwand trotzdem irgendwie gemacht zb als private Feiern (Info Klaus Stecker).
      Das waren aber auch Märkte, die von der Erscheinung mit unseren heutigen nichts zu tun haben.
      Soviel erst mal zum Umfeld.

      Die Szene in der BRD war, wie gesagt sehr frei und konnte sich so viel ausleben und in Folkszenen anderer Länder (die ja mit unter eine viel längere Tradition haben) Anregungen für die eigenen Szene holen.
      So entwickelte es sich dahin, dass in der Musik viel Drehleier, Harfen oder Lauten eingesetzt wurden.

      In der DDR hatten die Marktleute diese Möglichkeiten nicht. Ihre Anregungen beschränkten sich meist auf Bücher und Bilder. So musste sie sich auf ihre eigenen Ideen verlassen und selber Erfahrungen sammeln und unter einander austauschen.
      Klaus Stecker hat mir zb mal erzählt, er hat seine erste Schalmei, aus einem Tischbein gedrechselt, nach eine kleinen, alten Foto einer GHB, das ein Freund in einem Buch gefunden hat.

      Es entwickelte sich also innerhalb der Folkszene, eine Gemeinschaft von Leuten die Bock auf Dudelsäcke hatten aber absolut keine Möglichkeit an welche zu kommen. So haben sie angefangen sich selber welche zu machen. Zu diesen Leuten gehörten Klaus Stecker, Roman Streisand, Wim oder auch Ralf Gehler (spielt heute bei Malbrook). Sicher gehörten da noch mehr zu, aber nur von denen weiß ich dass sie Säcke gebaut haben. Ob wohl ich mir bei Wim und Ralf nicht ganz sicher bin. Kann auch sein das sie nur gespielt haben und erst in den 90iger angefangen selber zu bauen. Aber das is ja erst mal nur eine Randnotiz

      So also diese Leute haben nun gebaut und experimentiert. Klaus sagte mal, das sie zb. zuerst Schalmein in F gemacht haben. A-Moll setzte sich erst später durch. Zudem waren die Säcke filigraner und der Bordun nicht so dominant wie heute. Die ersten Prototypen des Marktsackes (wenn man das so sagen kann) sahen also eher wie Schäferpfeifen aus. In der Wendezeit kamen denn, so Klaus, die Leute von Corvus Corax auf ihn zu und sagen dass sie die Säcke brachialer möchten. Mit Trichtern dranne und der Bordun soll dominanter zu hören sein. Davor war das Ziel, das der Bordun so unterschwellig mitklingt, dem die Zuhörer ihn kaum zur Kenntnis nehmen. Klaus hat das den so gemacht, wie sie wollten und dabei is die Form des heutigen Marktsackes raus gekommen. Er selber war, nach eigenen Angaben, am Anfang davon überzeugt dass sich so große Trichter am Bordun nicht durchsetzen werden.

      Nach der Wende haben den viele angefangen sich mit dem Marktsack zu beschäftigen. Leute in Ost und West ... und der Sack wurde immer verbessert und jeder hat sich ausprobiert. Güntzel hat ne Zeit lang mit Stimmrädchen am Bordun experimentiert (mit mehr oder weniger Erfolg, aber das ist eine andere Sache). Andere kamen auf die Idee eine H-Klappe über dem hohen A zu basten. Oder einen Marktsack zubauen der eine Chromatik hat.

      Heute ist der Marktsack ein gesamtdeutscher Dudelsack und diese Mentalität des bastelns und ausprobieren, hat sich bis heute gehalten.
      Was ich ganz toll finde. Ich mag es das jeder Dudelsackbauer sein eigenes Marktsackrezept hat ... das macht für mich ein Stück weit die (jetzt schon kleine) Tradition und den Geist des Marktsackes aus.

      So um nochmal auf die Frage zurück zu kommen ... Wer hats erfunden?
      Die Ossis ... genauer eine Truppe von Leuten, die Bock auf Dudelsäcke hatten aber keine Möglichkeit an einen zukommen. Ganz wichtig sind dabei Klaus Stecker und Roman Streisand aber auch andere. Auf jeden Fall nicht einer alleine ..


      Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr verwirrt :nut:
      bis die Tage
      Thomas


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      Tipp für die Zukunft.
      Ralf Gehler schreibt grade an einem Buch über die MA-Szene in der DDR. Darin wird es ein großes Kapitel über die Entstehung des Marktsackes geben.
      Ich weiß nicht wann das Buch erscheint oder wie weit er damit ist. Ich weiß nur dass er es macht und dafür auch Klaus ins Boot geholt hat.
      Ich persönlich bin sehr gespannt und freue mich sehr drauf. Es wird viele Fragen und Mythen rund um die Entstehung unserer Qutischtrötten beantworten.

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      Ich übernehme keine Verantwortung für die Genauigkeit meiner Geschichte hier ... hab lediglich versucht, das in eine Abfolge zubringen das wir mehrere Leute, die dabei waren, über die Entstehung des Marktsackes so erzählt haben.
      Mein Motto:
      Lieber barfuss mitn Dudel zum Strand als im Benz zur Arbeit.

      Meine Urlaubsplanung:
      Dudel schnappen, VW-Bus klauen und ab in den Süden!

      Dieser Beitrag wurde bereits 3 mal editiert, zuletzt von Baldur ()

    • Baldur schrieb:

      Heute ist der Marktsack ein gesamtdeutscher Dudelsack
      Ich bin immer noch der Meinung, daß es schade ist, daß man dieses Instrument nicht von Anfang an analog zur GHB als GDS bezeichnet hat, denn genau das ist sie ja von vorn bis hinten... die große deutsche Sackpfeife in Abgrenzung zu Hümmelchen und Schäferpfeife. Oder, für die Anglophilen, halt GGB. Dann wäre die ganze unselige Debatte über "mittelalterlich" gar nie aufgekommen... ;)
      Is fearr Gaeilge bhriste ná Béarla cliste.
    • Rovadorion schrieb:

      Baldur schrieb:

      Heute ist der Marktsack ein gesamtdeutscher Dudelsack
      Ich bin immer noch der Meinung, daß es schade ist, daß man dieses Instrument nicht von Anfang an analog zur GHB als GDS bezeichnet hat, denn genau das ist sie ja von vorn bis hinten... die große deutsche Sackpfeife in Abgrenzung zu Hümmelchen und Schäferpfeife. Oder, für die Anglophilen, halt GGB. Dann wäre die ganze unselige Debatte über "mittelalterlich" gar nie aufgekommen... ;)


      Na vielleicht hat du ein wenig recht ... aber nun heißt das Ding wies heißt.
      Und nun wird da nichts mehr dranne geändert
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    • Nee, natürlich nicht, sowas kann man ja nicht per Dekret verordnen, schon gar nicht ich. Ist wie mit den ganzen Anglizismen. Wörter setzen sich durch für Dinge.

      Interessant wird's nur, die Geschichte des Marktsacks weiterzuverfolgen. Was passiert, wenn das Ding salonfähig wird und eines Tages in Orchestern auftritt (geile Vorstellung)? Ob die Bezeichnung Marktsackpfeife dann bleibt? :D
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    • Rovadorion schrieb:



      Interessant wird's nur, die Geschichte des Marktsacks weiterzuverfolgen. Was passiert, wenn das Ding salonfähig wird und eines Tages in Orchestern auftritt (geile Vorstellung)? Ob die Bezeichnung Marktsackpfeife dann bleibt? :D


      Also ich hab mal eine kurze Zeit in einem Haus geprobt, in dem auch ein Spielmannszug probte. Der Chef dieses Spielmannszuges wollte unbedingt das ich mal versuche mit ihnen zuspielen ... da es ja ein tolles Alleinstellungsmerkmal für seine Truppe gewesen wäre. Naja ich hab den Spass mitgemacht ... wir haben es ein Mal probiert ... Aber ich wusste vorher schon was passierten wird und es passierte. Die ganze Sache war eine Katastrophe ... ausser den Pauken hat man kaum ein anderes Instrument noch wirklich gehört. Die ganzes Einheit dieses Zuges war durch meinen Liebling zerstört ... und er hat die Idee schnell wieder verworfen. Soviel zu Orchestern :)
      Mein Motto:
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    • Naja, ich bin ja der Meinung, das "Großdeutsche Sackpfeife" besser klänge als Marktsackpfeife, aber ok...


      Schon hart, das sich erst jetzt eine Folk - Szene entwickelt, wohingegen andere Länder schon wesentlich länger eine hatten... Ich bin eh der Meinung, das das ganze erst seit ein paar Jahren so richtig aufblüht.

      Bei mir in der Region werd ich fast schon hofiert, wenn ich ein Angebot mache, auf dem ein oder anderen Markt mitzuspielen. Aber gut, eigentlich mag ich diese ganze Hofiererei nicht und letztendlich wird sich zeigen, inwiefern ich den Unterhaltungswert steigern kann und somit meinem mündlich geschlossenen Dienstleistungsvertrag gerecht werden kann.


      Gruß

      Chris
    • Leon van Farnstayn schrieb:

      Wow, vielen Dank Badur!

      Baut Gehler eigentlich noch?



      Er baut noch ... aber ganz selten. Nur wenn er wirklich Bock hat.
      Marktsäcke (Großdeutsch-(reichs)-Sackpfeifen :dagegenschild: ) baut er soviel ich weis gar nicht. Er baut wenn den Säckpipa oder Schäferpfeifen ... aber eigentlich soviel ich weis vorwiegend Nyckelharpas.
      Aber wie gesagt nur wenn er Bock hat ... ich versuch seit ein paar Monaten einen Bogen für ne Nyckelharpa bei ihm zu bestellen aber er hat immer keine Lust bzw keine Zeit dafür.
      Nicht das es jetzt falsch rüber kommt ... er is ein ganz lieber aber er macht es nur noch als Hobby und deswegen sucht er sich das aus wann er eine Bestellung annimmt.

      ps. GROßdeutsche Sackpfeife wegen Abraxas? weil der wohnt doch in Österreich.

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      Ich entschuldige mich.
      Es ist natürlich falsch, wenn ich schreibe, das Ralf keine Lust hast. Natürlich hat er lust, nur ist er familiär und beruflich stark engebunden.
      Und es sollte jedem Klar sein das Familie vor Instrumentenbau geht. Ich habe mich hier im Wortvergriffen. Das tut mir leid.
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      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Baldur () aus folgendem Grund: Falsche Wortwahl

    • Große deutsche Sackpfeife. Das ist eine Aussage über die Größe des Instruments, nicht über die von Deutschland... argh... ja, das hätte ich von selbst sehen können, daß mit dem Begriff irgendwer das wieder falsch versteht. Dann halt DGS, deutsche große Sackpfeife. Ich hatte eben an die GHB gedacht.

      Wir haben dem Gefreiten mit der Popelbremse echt einiges zu verdanken; man kann nicht mal mehr unschuldigerweise die Adjektive "groß" und "deutsch" hintereinanderstellen...

      :seufzschild:
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    • ist die neudeutsche Sackpfeife nicht der Übungssack? :kopfkratz:

      @Klaus Stecker
      ich meine mich zu erinnern, dass er bei der Apfelschorle irgendwas erzählt hat von einem Musikprofessor, der ihn auf Dudelsackbau angesprochen hat.. daraufhin haben sie versucht, was aus dem Holz zu bekommen.
      Aber ich bin mir nicht mehr richtig sicher, wenn wir mal wieder hinkommen, werde ich mal nachfragen - wenn ich dran denke.. ;o)
      LiGrüss cara

      Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.
      Henry Ford
    • @ cara

      Nein, ich meine mich zu erinnern, dass auf dem Programmheften des diesjährigen Jahresabschlusskonzerts die Übungssäcke als "Neudeutsche Kleinpfeifen" bezeichnet wurden :) Aber das hat mit dem eigentlichen Thema hier eh nix zu tun...

      Ich habe aufgrund meines Alters und dass ich ein wessi bin, nicht so viel von der DDR mitbekommen, aber das ist echt krass, dass man weder an Pläne noch an Instrumente der Folkszene rankam. Wenn ich mich richtig erinnere, dann hat Eric Fish von Subway to Sally seine erste GHP ja auch mit nem Kumpel selbstgebaut...
    • Die ersten Versuche, einen deutschen Dudelsack zu entwickeln, gehen auf Emil Brauer zurück, das war in den 20er Jahren. Seine Idee verlief allerdings im Sande und wurde erst ca. 50 Jahre später von Tibor Ehlers und Rolf Westenberg in jeweils veränderter Form wieder aufgegriffen (die Westenberg-Dudelsäcke waren die ersten deutschen Sackpfeifen, die ich damals zu Gesicht/Gehör bekommen habe). Einige Westenberg-Instrumente sind noch in Benutzung. Als Westenberg aufhörte, Instrumente zu bauen, hat niemand das (eigentlich sehr pfiffige) Konstruktionsprinzip übernommen, ich habe allerdings kürzlich gehört, dass Jens Güntzel die Idee aufgegriffen hat und dahingehend entwickelt.
      Für moderne Mittelaltermärkte dürften diese Instrumente größtenteils als zu leise und zu unaufdringlich empfunden werden.
      Im Osten war meines Wissens Dr. Bernd Eichler einer derjenigen, denen die Dudelsackentwicklung großenteils zu danken ist. Soweit ich weiß, war er Physiker, kein Musikprofessor. Anhand der von ihm verfassten Bauanleitung für sein damals entwickeltes Hümmelchen kann man annehmen, dass er kein gelernter Instrumentenbauer war (was nichts über Klang und Funktion dieses Hümmelchens aussagen soll, dazu kann ich nichts sagen; ich beziehe mich lediglich auf die handwerkliche Umsetzung). Er war Gründer der "Deutschen Dudelsackrunde" und Mitglied der (Ost-)Berliner Gruppe "Windbeutel" und hat seit den 60er Jahren Dudelsäcke gebaut. Auch seine Instrumente hatten mit dem modernen Marktsack nicht viel gemein, es sind lediglich die Wurzeln des Dudelsackbaus in der damaligen DDR. Wie Baldur schon schrieb, ist vermutlich Ralf Gehler derjenige, der hierzu detailliertere und fundiertere Informationen bereitstellen kann.


      P.S.: Ach so, "Starck-Sackpfeife" war der Namensvorschlag von Roman Streisand; ich halte das für starck irreführend, da keinerlei Bezug existiert zu den Instrumenten aus der Werkstatt von Henry Starck, London, die in der GHB-Szene noch heute gesucht und geschätzt sind. Außerdem hat Starck um 1910 die Brian-Boru-Pipe entwickelt, die man korrekterweise als die "echte" Starck-Sackpfeife bezeichnen könnte.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von mick ()